Ostern 2023 – Sonnenschein, die Temperaturen rotieren um sechs Grad, mal Plus mal Minus. Wie kann man sich der Insel nähern, die so anders aussieht als ihre ostfriesischen Schwestern?
Eher wie ein hastig herausgebrochenes Stückchen Schokolade und nicht wie die auf Reihe gelegten schwesterlichen Pantoffeltierchen, bildet sie den westlichen Abschluss an der Emsmündung.
Schon lange ist es her, dass Lars Borkum einen Besuch abstattete. Für mich stellt diese Insel durch ihre exponierte Lage eher eine Art Off-Shore-Ziel dar, das ich für mich eigentlich noch in unerreichbarer Ferne wähnte.
Wir starten in Norddeich, die anstehende Ostertour noch nicht in allen Einzelheiten im Kopf. Zunächst kämpfen wir uns das kurze Stück nach Norderney herüber, anstrengend mit 6 Bft ins Gesicht. Am Seglerhafen sind die Duschen und Toiletten noch nicht für die Saison geöffnet. Gastfreundschaft jedoch bringt uns ein Engel im Handwerkergewand entgegen, indem er uns den Zugang zum Werkstattklo in einer der Nissenhütten am Hafen ermöglicht.
Wie weiter am nächsten Tag? Die Sonne blinzelt uns an, der Wind ist auf Ost gedreht. Die geplante Linie führt an Juist auf der Memmertbalje vorbei. Memmert winkt nördlich von uns als Sprungbrett nach Borkum-Ost, dessen Küstenstreifen wir nun schon gut erkennen. Durch den Strom und den schiebenden Wind sind wir unerwartet schnell.
Ein kurzer Blick, ein Nicken, gemeinsames Einverständnis und das Bewusstsein, dass uns jetzt nichts dazwischen kommen sollte.
Memmert schnell hinter uns lassend, reiten wir auf der Osterems bis zum Tidenkipp an die Westseite Borkums, um uns dann nach Süden mit auflaufend Wasser Richtung Fischerbalje zum Borkumer Hafen schieben zu lassen.
Gemacht getan. Der Plan geht auf und wir erreichen pünktlich am Nachmittag die Westseite Borkums.
Nun beginnt der anstrengende Teil der Tour: Die Bäderarchitektur und den alten Leuchtturm können wir ausgiebig studieren, da wir im Schneckentempo daran vorbei paddeln.
Noch einmal anzulegen und damit eine Stunde zu verschwenden, wagen wir nicht.
Wir können nicht abschätzen, wie lange wir zum Hafen benötigen, da uns der Ausschnitt auf der Seekarte fehlt.
Den langgestreckten Leitdamm sehen wir schon aus weiter Ferne, an dem kleine Fähren entlang ziehen:
Rein und raus, raus und rein, schäumendes Weiß hinter sich her ziehend.
Ein paar Kilometer weiter nun: Fauchendes Weiß, sich überschlagendes Weiß, am Leitdamm brechendes Weiß.
Eine Mausefalle tut sich auf, durch die man hindurch muss, um Port Henry zu erreichen.
Ich möchte zu so später Stunde kein unfreiwilliges Bad mehr nehmen, so erschöpft kurz vor dem Ziel.
Die Katamarane, die die fleißigen Windradbauer transportieren, flitzen hin und her. Wir mogeln uns durch.
Der nächste Katamaran schiebt sich erst aus dem Burkana-Hafen in die Hauptfahrrinne rein, als wir die davor liegende Einfahrt zum Seglerhafen Port Henry schon passiert haben.
Die Einfahrt empfängt Segler und Paddler gleichermaßen mit aufgestapelten, austernverkrusteten Auto- und LKW-Reifen.
Um die Mole von Port Henry sturmsicher zu machen, hat ein Borkumer Bauunternehmer die Trümmer abgerissener Häuserzeilen hier aufgetürmt. So manch eine Küchenfliese haftet noch an den kleingeschlagenen Wänden, Armierungseisen ragen aus zerborstenen Betonteilen.
Die Steganlagen liegen verwaist im Hafenbecken, windschief, teilweise zerfressen, die blauen Schwimmtonnen genauso Muschel verkrustet wie die Autoreifen am Empfang.
Wir hieven uns ermattet aus den Kajaks und krabbeln auf den Steg. Das Büro des Hafenmeisters machen wir schnell ausfindig.
Das Hafenmeister-Paar befindet sich noch genauso im Winterschlaf wie der in ihrer Obhut befindliche Seglerhafen. Sie reiben sich verwundert die Augen, was wir hier wollen. Nach etwas Besinnungszeit weisen sie Richtung Schutthaufen gegenüber, der die Mole bildet. Wir dürfen uns dort gerne an oder in einer slumartigen Partylaube ein Plätzchen zum Übernachten suchen.
Mit letzter Kraft entscheiden wir uns für einen Zeltplatz direkt auf dem Fahrweg der Mole. Der Wind ist fast eingeschlafen. Wir können es wagen, unser Zelt an dieser exponierten Stelle aufzuschlagen, mit einer fantastischen Weitsicht auf das Meer und den Sonnenuntergang.Port Henry wächst uns ans Herz. Liebevoll nennen wir es Favela Henrica wegen seiner Vergangenheit als Schuttabladeplatz.
Aber das Leben und Zelten auf einer Müllhalde ist nicht ganz ungefährlich. Am Morgen der ersten Nacht wachen wir durch ein beständiges Motorenbrummen auf. Ein schwarzer Schatten wandert über unser Zelt hinweg.
Unserem Kontrollblick aus dem Zelt hinaus präsentiert sich das Hinterteil eines Gabelstaplers, der auf seinen hoch aufgestellten Zinken des Gabelträgers ein schwankendes Stegteil transportiert.
Der Fahrer gibt später zu, dass Metallsteg auf Metallzinken doch sehr rutschig ist. Wenn er gewusst hätte, dass sich Personen im Zelt befänden, wäre er dieses Manöver nicht gefahren.
Wieder einmal bestätigt sich die Erkenntnis, dass die größten Gefahren für den Seekajakfahrer an Land liegen.
Essengehen kann man übrigens hervorragend im Seglerheim gegenüber. Ein rumänisches Team vermag es, in der rustikalen Kneipeneinrichtung ein wunderbares Crossover aus traditionellem Labskaus, Matjesteller und den Segnungen der rumänischen Küche zu zubereiten.
Der öffentliche Inselbus hält direkt am Port Henry, so dass man der etwa sieben Kilometer entfernten Inselhauptstadt einen Besuch abstatten kann. Möchte man etwas mehr von der Insel und der Mentalität der Borkumer erfahren, empfiehlt sich die Lektüre von Dörte Hansen „Zur See“.
Der Wind und die Sonne sind uns gewogen: Erstgenannter weht auf dieser Reise immer von hinten und die Sonne scheint ohne Unterlass. Die Rückkehr treten wir, an der Ostseite der Insel vorbeifahrend, über das Borkumer Wattfahrwasser an. Das Wattenhoch passieren wir bereits zwei Stunden nach Niedrigwasser, allerdings noch mit leisem Knirschen der hier üppig wuchernden Austern unter dem Kiel.
Die Juister Hafenmeisterin Peggy heißt uns beim Segelklub Juist (SKJ) willkommen, der seit kurzem auch DKV-Kanustation ist. Am modernen Bezahlautomaten klicken wir uns durch das Programm und erwerben die Aufkleber für unsere Boote, die die Übernachtung auf der Wiese gegenüber legitimieren. Ich erfreue mich an der Fußbodenheizung im komfortablen Dusch- und Waschbereich des gastfreundlichen SKJ.
Am nächsten Morgen brechen wir auf, die letzte Etappe zurück nach Norddeich. Lars warnt mich an der Rampe, es könnte rutschig sein. Kaum ausgesprochen, knallt er mit einem gewaltigen Rums auf Ellenbogen und Schulter, rutscht weiter ins Wasser, bis er soweit im Wasser liegt, dass er durch die Schwimmweste aufschwimmt.
Kurzes Innehalten auf der Rampe, Gliedmaßencheck. Das freigesetzte Adrenalin reicht für eine zügige Überfahrt nach Norddeich.
Die letzte Station der Reise ist dann erst einmal das Ubbo-Emmius-Krankenhaus in Norden.
Wie bereits festgestellt, lauern die echten Gefahren an Land.
Text: Eva Cott
Fotos: Lars Everding, Eva Cott